Hispaniola Magic, Teil 2


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Donnerstag, 07. September 2000

Nach einem guten Frühstück laden wir unser weniges Gepäck wieder in den Bus. Die Fahrt führt durch trockenes, steiniges Gelände, auf dem außer Dornengestrüpp nichts wächst. Die Regierung verschenkt hier Land an Leute, die bereit sind, es urbar zu machen. Und tatsächlich sehen wir einige Flächen an der Straße, wo mit Brandrodung das Gestrüpp entfernt wurde. Aber auf dem nun freiliegenden Boden sind nur Steine zu sehen. Auch wo das nötige Wasser herkommen soll, ist schleierhaft.
Als erstes fahren wir heute zum "Magnetic Pole". Die Straße dorthin führt steil bergan. Kurz hinter einer Bergkuppe liegt die ominöse Stelle. Wir steigen alle aus und der Fahrer macht den Motor aus. Nach dem Lösen der Handbremse rollt das Fahrzeug rückwärts den Berg hinauf - ohne Motorkraft! Aus irgendwelchen Gründen ist man der optischen Täuschung unterlegen, dass diese Straße bergauf geht. Bei näheren Hinsehen erweist sich aber die "Bergkuppe" nur als ein Wechsel der Steigung. Ein sehr steiles Stück wechselt in eine flachere Steigung. Wie auch immer, es ist recht interessant. Auf unserem weiteren Weg kommen wir durch mehrere kleine Dörfer, von denen sich eines auf die Herstellung von Stühlen spezialisiert hat. In allen Größen und Formen stehen sie am Straßenrand zum Verkauf bereit. Vom Puppenstubenstuhl bis zum Schaukelstuhl, es gibt die Sitzmöbel in jeder erdenklichen Art.
Da wir uns langsam der Grenze nähern, begegnen wir immer öfter Militärposten. Sie sollen die illegalen Einwanderer aus Haiti abfangen. Neben einigen zugelassenen legalen Arbeitern versuchen viele Haitianer, hier auf den Plantagen etwas zu verdienen. Sie müssen für einen Hungerlohn die schwersten Arbeiten verrichten. Von dem wenigen Geld wird meist noch etwas für die Schlepperbanden oder als Bestechung fällig. Wir werden von den Posten jedoch nicht behelligt. Jose hat vorn im Bus ein riesiges Schild hinter der Windschutzscheibe angebracht: "Caribbean Tourist Service".
In der Mitte einer Straßenkreuzung steht ein großes Denkmal des Indianerhäuptlings Enriquillo. Er führte seinen Stamm in einem 15-jährigen Freiheitskampf gegen die spanischen Eroberer. 1533 wurde mit den letzten überlebenden Indianern ein Friedensvertrag geschlossen. Die Straße durchquert nun schnurgerade eine Tiefebene, die von einem jetzt trockenem Flussbett geteilt wird. Die Brücke über diesen Fluss wurde 1998 vom Hurrican "George" weggespült. An den Trümmern dieser Brücke vorbei führt jetzt der Weg hinunter durch das Flussbett. Das ist eine echte Überraschung auf der ansonsten guten Straße.
Im Zentrum der Kleinstadt Neiba machen wir eine kleine Pause. Der zentrale Platz ist typisch für die Region: rechteckig, mit schattenspendenden Bäumen bestanden, gepflegte Grünanlagen und Wege mit Bänken und in der Mitte ein Denkmal. Viele Leute treffen sich hier und da sind natürlich auch einige Händler zur Stelle. Ich erstehe preiswert eine Kassette mit landestypischer Folklore, dem Basada, einer Abart des Merengue. Wenige Kilometer nach diesem Ort sehen wir den Lago Enriquillo, einen etwa 50 km langen Salzsee, dessen Wasserspiegel sich 40 m unter NN befindet. Auf einer 12 km langen Insel leben noch Krokodile. Davon bekommen wir jedoch keine zu sehen. Dafür besuchen wir eine Leguan-Kolonie am Seeufer. Überall im Gestrüpp raschelt es und die etwa 1 m langen Echsen kommen aus ihren Verstecken. Sicher erwarten sie etwas zu fressen. Am Eingang zur Kolonie befindet sich ein kleiner Kiosk mit Erfrischungen. Dort vertreibt sich unser Fahrer Jose inzwischen die Zeit beim Dominospiel mit den Angestellten, weil außer uns keine Besucher mehr hier sind. Domino ist eine Art Volkssport hier.
Dann fahren wir noch einige Kilometer bis zu einer Raststätte an der Straße. Hier bekommen wir heute unser Mittagessen. Alles ist schon vorbereitet und der Tisch ist eingedeckt, weil Mauricio unsere Ankunft schon angekündigt hat. Wir sitzen im Schatten unter einem Dach an einer langen Tafel und nebenan ist ein Buffet mit richtiger landesüblicher Kost für uns aufgebaut. Da gibt es gebratenes Rind und Geflügel, Reis oder Kochbananen und viele verschiedene Früchte. Alles schmeckt sehr gut, wenn nicht immer im Hinterkopf die Angst wäre, ob der Magen das alles verträgt. Als Abschluss kann man sich noch dicken, schwarzen Mocca einschenken. Gekühlte Getränke sind an der Theke zu haben. Der einzige Nachteil hier ist, dass die Wasserleitung im Moment nicht funktioniert.
Das letzte Stück bis zur Grenze in
Jimani ist schnell geschafft und wir sind schon richtig gespannt auf Haiti. Auf einem großen Parkplatz auf der dominikanischen Seite stellt sich Jose neben einen anderen Kleinbus. Das wird unser Fahrzeug für die nächsten Tage sein. Wir machen uns mit dem Fahrer bekannt und laden unser Gepäck um. In diesem Bus haben wir noch mehr Platz als vorher. Währendessen ist Mauricio mit unseren Pässen und den Ausreisescheinen im dominikanischen Grenzamt verschwunden, um die Grenzformalitäten zu erledigen. Es klappt alles reibungslos und nach kurzer Zeit ist er zurück.

Haiti

Wir verabschieden uns von Jose, der nun die Rückfahrt antritt. Mauricio überquert die Grenze zu Fuß, um die haitianischen Formalitäten zu erledigen und unser Bus reiht sich in das Gewühl von Fußgängern, Karren, PKW's und LKWs ein. An der eigentlichen Grenze steht ein hoher Zaun und darin ist ein Tor, durch das alle durchmüssen. Zwei höhere Beamte kommen in den Bus und wollen uns kontrollieren. Da jedoch Mauricio mit unseren Papieren noch unterwegs ist, gibt es einige misstrauische Blicke. Schließlich können wir ihnen auf englisch erklären, dass wir "Germans" sind und "Holiday" machen. Weil der Bus das Tor blockiert, dürfen wir weiterfahren und dann kommt auch schon Mauricio zurück.
Wir setzen uns langsam in Bewegung. Unmittelbar nach der Grenze ist ein riesiger Markt mit unzähligen Buden. Das Ganze erinnert an einen Ameisenhaufen. Die Menschen sind hier viel dunkelhäutiger, als im Nachbarland. Viele sind mit dem Fahrrad unterwegs, was in der Dominikanischen Republik eher die Ausnahme ist. Die Hütten am Straßenrand sehen etwas ärmlicher aus und die Straßen sind mit mehr Schlaglöchern versehen. Der Weg führt uns weiter in dem gleichen Tal entlang und auch hier gibt es einen riesigen See ähnlich dem Lago Enriquillo. Es ist der "Etang Saumatre". Endlich kommen wir nun auch dazu, unsere Uhren eine Stunde zurückzustellen, denn hier gilt eine andere Zeitzone.
Unser nächstes Ziel ist eine Kunstschmiedewerkstatt in dem kleinen Dorf "Croix des Bouquets", welches an unserer Strecke liegt. Geschickte Handwerker formen mit einfachsten Mitteln Kunstwerke aus Eisenblech. Die einzigen Werkzeuge sind Hammer und Meisel. Mit Mauricio als Dolmetscher kaufen wir eines von den vielen ausgestellten Exponaten.
Am internationalen Flughafen vorbei kommen wir dann nach Petionville, einer Vorstadt von Port-au-Prince. Hier wohnen die besserverdienenden Leute, die nicht zu weit weg von der Hauptstadt sein wollen. An den Berghängen liegen prächtige Villen in großen, mit hohen Mauern geschützten Grundstücken. Auch die deutsche Botschaft befindet sich hier. Unser Ziel ist jedoch erst mal eine Gemäldegalerie, in der Kunst zeitgenössischer haitianischer Maler gezeigt und gehandelt wird. Die Säle hängen voll mit einzigartigen Werken. Es ist eine Augenweide. Das Preisniveau ist jedoch nicht für uns geeignet. Das billigste Bild ist nicht unter 200 US$ zu haben.
Dann fahren wir weiter zum Hotel "Kinam". Es liegt am zentralen Platz von Petionville und ist im Kolonialstil erbaut, der auch als "Zuckerbäckerstil" bezeichnet wird. Es ist weit und breit das besterhaltenste Gebäude in diesem Baustil und schon aus diesem Grund einen Blick wert. Nach dem Anmelden gibt es einen Willkommens-Cocktail und dann begeben wir uns in unsere Zimmer. Sie sind hervorragend sowohl in Größe als auch in Ausstattung. Da bleibt kaum ein Wunsch offen. Das Hotel ist eigentlich nicht für Touristen wie uns gedacht. Hier verkehrt die vornehme Gesellschaft.
Da vor dem Abendessen noch Zeit ist, erkunden wir die Umgebung unserer Nobelherberge. Fast vor der Haustür am Straßenrand befindet sich der "Kunstmarkt" für den kleinen Geldbeutel. Sowie man vor einem Bild stehen bleibt, fallen sofort die Händler über einen her. Nach einigem Handeln kaufe ich ein Bild für 10 US$. Als der Kauf abgeschlossen ist, will er mir noch ein ähnliches für 5 US$ verkaufen. Also wieder zu viel bezahlt. Allerdings kostet zu Hause der Rahmen dazu mehr als das Doppelte.
Wir kommen an einem großen Blumenmarkt vorbei und auf der anderen Seite des Parks findet in einer Kirche gerade eine Trauung statt. Als wir ins Hotel zurückkommen, ist wieder mal Stromausfall, aber nicht lange. Denn vor dem Hotel steht ein Generator, so groß wie ein Container. Er braucht nur eine kurze Zeit zum Anlaufen. Wahrscheinlich hat hier jeder, der es sich leisten kann, so ein Gerät hinter dem Haus stehen. Wenn man die abenteuerlichen Freileitungen am Rand der Straße sieht, wundert man sich nicht mehr, dass es öfter zu Ausfällen kommt.
Doch dann gehen wir zum Abendessen. Außer anderen Köstlichkeiten steht heute Hummer auf der Speisekarte. Ein einheimisches Bier ist für 65.-HDS zu haben. Satt und zufrieden begeben wir uns zur Nachtruhe. Ganz so ruhig wird es jedoch nicht, denn ein starkes Gewitter entlädt sich und die steile Straße vor dem Haus wird zum reißenden Fluss.


Freitag, 08. September 2000

Nach erholsamem Schlaf sind wir schon früh auf den Beinen. Jeden Morgen stehen wir gegen 7:00 auf und 7:30 treffen sich alle beim Frühstück. Heute ist es als Buffet angerichtet und es gibt viele Spezialitäten von Haiti. Wir wissen zwar nicht immer, was wir essen, aber es schmeckt gut und macht satt. Dann noch das Gepäck in den Bus und wir verlassen das gastliche Haus.
Das Wetter ist heute nicht so gut. Graue Wolken verdunkeln den Himmel. Die Fahrt geht etwa 30 min stetig bergauf zu einem Aussichtspunkt, wo man normalerweise einen Rundblick auf die ganze Hauptstadt und das umliegende Gebiet hat. Doch heute liegt wegen des starken Regens alles unter uns in den Wolken. Was hilft es?
So fahren wir weiter in Richtung Kenscott, wo in einem Bergdorf ein Markt stattfindet. Schon auf der Fahrt dorthin sehen wir viele Menschen mit Lasten auf dem Kopf nach diesem Ort streben. Der Markt selbst ist etwa 100 x100 m groß. Es gibt einige wenige Stände, aber das meiste breiten die Händler auf einer Plane vor sich auf dem Boden aus. Es werden in der Hauptsache Esswaren angeboten: Obst, Gemüse, Reis, Kartoffeln, Geflügel und anderes Fleisch und vieles andere in kleinen und kleinsten Mengen. Das einzige, was an Zivilisation erinnert, sind einige Konservendosen und abgepackte Teigwaren. Es gibt aber auch Holzkohle, Benzin in Plasteflaschen und andere "technische" Artikel zu kaufen. Auf dem Platz befinden sich wesentlich mehr Verkäufer als Kunden und deshalb sind auch die Gänge so eng, dass man allenfalls hintereinander durchgehen kann. Zuerst haben wir Bedenken, da hineinzugehen. Aber Mauricio geht vornweg und scherzt noch mit verschiedenen Marktfrauen. Wir werden eigentlich gar nicht beachtet, es sei denn, wir stehen jemand im Wege. Über dem Ganzen liegt ein unbeschreiblicher übler Geruch und ich bin froh, als wir nach einer halben Stunde wieder in den Bus steigen.
Ein paar Kilometer weiter unten halten wir an einer Missionsstation, welche von den amerikanischen Baptisten unterhalten wird. In einem richtigen Laden werden die Produkte der Station, Topfblumen und Keramikgegenstände vertrieben. Vor der Station warten festlich gekleidete Menschen auf den Beginn des Gottesdienstes. Irgendwie wirken sie wie am falschem Platz inmitten all des Elends.
Dann fahren wir bergab in Richtung Port-au-Prince. Die Sonne hat sich inzwischen durchgesetzt und strahlt mit voller Kraft. Die Straßen werden immer belebter und überall auf den Gehwegen bieten Händler ihre Waren an. Schließlich biegen wir in eine Seitenstraße ein und nach einem bewachten Tor sind wir plötzlich in einer anderen Welt. Wir befinden uns in der Hotelanlage "La Rancha", wo wir Mittag essen werden. In einem parkähnlichen Gelände liegen zwischen Teichen und Pools die einzelnen Gebäude. Alles wirkt sehr gepflegt und die wenigen Gäste scheinen über viel Geld zu verfügen. Das Essen ist hervorragend und die Bedienung sehr zuvorkommend.
Irgendwann müssen wir jedoch wieder weiter und besichtigen nun die Altstadt von Port-au-Prince. Viele Gebäude im Zuckerbäckerstil lassen den einstigen Glanz erahnen. Die meisten von ihnen sind jedoch dem Verfall preisgegeben. Unser nächstes Ziel ist das Zentrum mit dem Präsidentenpalast. Das imposante Bauwerk zeigt sich im strahlenden Weiß gegen den Hintergrund der dunkelgrünen Berghänge. Der Kontrast könnte größer nicht sein, denn der Platz und die Straßen davor sind von Müll und Unrat übersät. Auch die Denkmäler sind ramponiert und beschmiert. Ein Stück weiter besichtigen wir eine Baptistenkirche, die innen mit naiver Malerei verziert ist.
Nun kommen wir an der mächtigen Kirche "Notre Dame" vorbei zum zentralen Marktplatz von Port-au-Prince. Dort herrscht ein unbeschreibliches Chaos. Es gibt alles, was irgendwie transportabel ist. Jedes Stück Draht wird verkauft. Die Straßen sind mit vielen Menschen, Tapp-Taps und anderen Fahrzeugen völlig zugestopft. Tap-Tap ist ein privat geführtes öffentliches Verkehrsmittel. Es besteht aus einem Pickup, auf dessen Ladefläche an beiden Seiten eine Bank in Längsrichtung steht. Der Fahrer bestimmt die Route und hält bei Bedarf. Außen sind sie bunt bemalt und tragen oftmals fromme Sprüche. Weil nicht viel Leute draufpassen und der Bedarf groß ist, gibt es in der Innenstadt sehr viele solcher Fahrzeuge. Die Weiterfahrt führt im Stau am Hafen vorbei und durch ein Elendsviertel am Stadtrand. Wer so etwas nicht gesehen hat, kann nicht glauben, dass unter solchen Bedingungen Menschen leben können.
Endlich haben wir die Stadt hinter uns gelassen. Gleich wird alles viel freundlicher. Die Hütten sehen zwar auch noch ärmlich aus, aber es ist kein Vergleich zu dem Elendsviertel. Trotzdem zieht es viele in die Stadt. Der Straßenzustand auf der Fernstraße ist erträglich. Man muss jedoch immer wieder mit riesigen Schlaglöchern rechnen und deshalb sehr aufmerksam fahren. Durch die kleinen Ortschaften rasen alle durch. Einmal ragt mitten im Ort ein umgekippter Schulbus auf die Straße. Es sieht aus, als ob er schon länger hier liegt. Den kann niemand mehr brauchen und zum wegschieben ist er zu schwer. Also fahren alle drum herum. Die Straße führt immer an der Küste entlang. Auf der rechten Seite erheben sich kahle Berge, auf denen jeder Baum abgeholzt und verfeuert wurde.
In Montrouis biegen wir von der Hauptstraße in Richtung Küste ab und kommen nach wenigen Minuten zum Tor der Anlage "Moulin sur mer". Dort stehen Wächter, die uns zum Parkplatz weisen. Von da werden wir und unser Gepäck von einem Elektro-Fahrzeug abgeholt. Diese Anlage ist eine Oase der Ruhe und top gepflegt.Es wirkt wie ein botanischer Garten. Die Wege winden sich an Tiergehegen und Blumenbeeten vorbei. Die vielen Gästehäuser haben max. 2 Geschosse und liegen im Schatten von hohen Palmen. Zuerst werden wir zur Strandbar gefahren, wo jeder einen kühlen Willkommensdrink bekommt. Inzwischen hat Mauricio die Zimmerschlüssel erhalten. Da das Gepäck schon da ist, brauchen wir nur noch einzuräumen. Das Zimmer ist mit Stahlmöbeln bestückt und an der Wand hängen Bilder von haitianischen Künstlern. Das tollste ist jedoch das Badezimmer. Trotz allem Komfort auf unserer bisherigen Reise übertrifft das alles. Doch das ist erst mal Nebensache. Im Schein der untergehenden Sonne probieren wir das Meerwasser aus. Vor der Küste quält sich derweil ein Lastensegler bei fast Windstille ab.


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