Haiti - Kubas nächster Nachbar
Haiti - für die bundesrepublikanische Öffentlichkeit hat dieser
kleine karibische Staat wenig Bedeutung. Für Haiti spricht bestenfalls,
daß es sich auf ein und derselben Insel mit der Dominikanischen
Republik befindet. Ansonsten sind die Assoziationen, so weit überhaupt
vorhanden, eher negative:
Voodoo, schwarze Magie, Diktatur, Staatsstreich, Massenelend und Massenflucht.
Nachrichten aus dem fernen Land erreichen die deutschen Zeitungsleser
und Tagesschauer selten bis nie. Es gibt kein wirkliches deutsches Interesse
in dieser Region, nicht einmal deutsche Blauhelme, die bei der UN-Intervention
in Haiti 1994 zum Einsatz gekommen wären.
Das war einmal anders: Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gab
es ein elementares deutsches Interesse an dem Halbinselstaat, das soweit
ging, daß vor dem Hafen der Hauptstadt Port-au-Prince deutsche Panzerboote
kreuzten, um die Interessen der deutschen Kaufleute zu schützen, die sich
zu dieser Zeit in Haiti niedergelassen hatten und nun dabei waren, sich
eine Monopolstellung im Ex- und Import zu sichern. Eine innerimperialistische
Konkurrenzsituation erwuchs daraus, denn die Amerikaner waren mit dem
deutschen Engagement vor ihren Küsten gar nicht einverstanden und intervenierten
1915, um Haiti bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs besetzt zu
halten.
Heute gibt es noch einen weiteren Grund für die USA, eifersüchtig über
die Entwicklungen in Haiti zu wachen: Haiti ist direkter Nachbar Kubas
und damit von strategischem Interesse. Und damit nicht genug: Seit 1995
ist Haiti dabei, sein Verhältnis zu Kuba stetig zu verbessern und zu intensivieren.
Eine Konkurrenz zwischen Kuba und den USA um Haiti ist in vollem Gange,
und schon allein aus diesem Grund lohnt es sich für Kuba-Freunde, einen
Blick auf dieses Land zu werfen. Die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba
in Tübingen hat dies auf ihrer Sitzung am 20. April getan.
Prekäre Versorgung zwischen Subsistenz und Weltmarktabhängigkeit
Es gibt noch einen Grund für Kuba-Freunde, sich mit Haiti zu beschõftigen:
Es lohnt sich, diese beiden Nachbarstaaten zu vergleichen. Geographisch
werden sie nur durch wenige Kilometer Karibik getrennt, aber: Der Unterschied
zwischen zwei Staaten könnte nicht größer sein.
Das gesamte sozioökonomische Leben läuft komplett anders ab in Haiti als
in Kuba. Das beginnt mit dem Versorgungssystem: Was in Kuba unter dem
Stichwort ,,freie Bauemmärkte" heiß diskutiert wird, ist in Haiti alltägliche
Realität und das einzige Versorgungsnetz, das außerhalb der Hauptstadt
überhaupt existiert. Im ganzen Land verstreut gibt es sie, die Märkte,
die zusammen ein hierarchisches System vom lokalen Bauernmarkt über Regionalmärkte
unterschiedlicher Größe und Reichweite bis hin zu den städtischen Märkten
und dem Exportmarkt der Hauptstadt bilden. Über dieses Marktsystem ,,funktioniert"
die Versorgung der Bevölkerung ohne jeglichen staatlichen Eingriff.
Agenten dieser Distribution sind die vielen Zwischenhändlerinnen, die
zwischen den Märkten auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen pendeln
und - je nach Richtung - aud étail auf- und en gros verkaufen oder umgekehrt
Die eigenständige Vermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch
ihre Produzenten scheitert zum einen an der nicht vorhandenen Verkehrsinfrastruktur,
zum anderen am mangelhaften Organisationsgrad der Bauern. Die Ausbildung
von Kooperativen zur gemeinsamen Lagerhaltung und Vermarktung wird überall
angestrebt, aber bisher ist sie erst in wenigen Einzelfällen Realität.
Auf diese Weise ist der Bauer in doppelter Hinsicht ,,der Dumme" als letztes
Glied der Vermarktungskette. Die lmportware (so zum Beispiel das Grundnahrungsmittel
Reis, das zum größten Teil aus den USA importiert wird, Kleidung, Schuhe
usw.), die der Bauer alltäglich benötigt, verteuert sich, ausgehend vom
Importhafen der Hauptstadt, von Zwischenhändlerin zu Zwischenhändlerin,
bis sie schließlich beim bäuerlichen Abnehmer angelangt ist. Auch als
Produzent, und in diesem Fall Ausgangspunkt der Vermarktungskette, hat
der Bauer das Nachsehen: Da auf jeder Ebene der Märktehierarchie die Konzentration
des Zwischenhandels zunimmt, ist die Marktmacht der nächsthöheren Ebene
immer größer als die der darunterliegenden. Der Einfluß des Produzenten
auf die Preisbildung ist insbesondere im Bereich der Exportprodukte (Kaffee,
Kakao) gering, da dort der Handel um einiges monopolisierter abläuft als
im Bereich der auf dem nationalen Markt zirkulierenden Produkte (Kartoffeln,
Getreide, Wurzel- und Hülsenfrüchte). Es entstehen in diesem Versorgungssystem
also erhebliche Schieflagen, die durch keinerlei staatliches Engagement
ausgeglichen werden. Natürlich gibt es keine Libretas wie in Kuba, genauso
wenig wie staatliche Subventionen für Grundnahrungsmittel oder ähnliches
Haiti ist eine ländlich geprägte Gesellschaft. Rund 70% der Bevölkerung
leben auf dem Land und von der Landwirtschaft. Es gibt wenig Großgrundbesitz
und fast keine Plantagenkulturen. Die haitianischen Bauern sind größtenteils
Besitzer des Stückchen Landes, das sie in Polykultur bearbeiten. Pacht
und Lohnarbeit kommen dennoch vor, allerdings meist als zusätzliche Einkommensstrategie.
Was sich bis hierhin als die Beschreibung eines romantischen Kleinbauerntums
liest, ist in der Realität ein beklagenswerter Umstand. Die Parzellen
sind zu klein, um die Ernährung der bäuerlichen Familien zu sichern. Trotz
Polykultur ist eine Subsistenzwirtschaft nicht möglich und die Abhängigkeit
von den oben beschriebenen Marktkreisläufen groß. Die Polykultur, die
in unkontrollierter Manier und ohne agronomische oder bodenkundliche Kenntnisse
betrieben wird, beansprucht die Böden über die Maßen und trägt dazu bei,
daß deren Nährstoffgehalt schnell abnimmt und somit die Erträge sinken.
Das wiederum hat weitere Landnahme und damit weitere Entwaldung zur Folge.
Und hier liegt das größte Problem der haitianischen Landwirtschaft: Die
Entwaldung hat insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
dramatische Ausmaße angenommen: Nur 2% der ursprünglichen Vegetation Haitis
ist noch existent. Dazu hat natürlich nicht nur die ungezügelte Landnahme
beigetragen, sondern insbesondere die Dominanz von Holzkohle als Energieträger.
In Ermangelung fossiler Brennstoffe (oder der Möglichkeit, solche zu importieren)
wird Energie in Haiti zu 85% aus Holzkohle gewonnen (die übrigen 15% aus
Melasse und anderen Bioabfällen). Holzkohle ist also ein Produkt, dessen
Absatz immer gesichert ist. Insbesondere in Gegenden niedriger landwirtschaftlicher
Produktivität, ist die Gewinnung von Holzkohle eine willkommene und allzeit
sichere Zusatzabsicherung, wenn nicht gar die einzige Einkommensquelle
vieler armer Familien. Die Folgen: Ganze Gebirgszüge sind komplett entwaldet,
vielfach erodiert. Das heißt, das nackte Gestein tritt zutage. In diesen
Gebieten wird nie mehr irgendetwas wachsen, auch für eventuelle Aufforstungsmaßnahmen
ist es hier zu spüt. Vielerorts hat sich eine Ersatzvegetation ausgebreitet:
Wo früher subtropische Wälder beheimatet waren, wachsen heute Kakteen,
kniehohe Dornsträucher, Krüppeleichen usw. Regelrechte Wüsten sind entstanden.
Denn der enorme Holzschlag hat natürlich auch Auswirkungen auf das Klima.
Je weniger Bäume, desto weniger Transpirationsfläche, desto weniger Wolkenbildung,
desto weniger Niederschlag. Die Grenze zur benachbarten Dominikanischen
Republik ist aus dem Flugzeug mit bloßem Auge erkennbar. Jenseits der
Grenze: grüne subtropische Wälder, in Haiti: kahle, braune Berge... Das
Ökosystem Niederschlag-Vegetation-Bodenbildung ist komplett außer Kontrolle
geraten. Aufforstungsprojekte, die im Land tätig sind, haben lediglich
räumlich - und meistens auch zeitlich - stark begrenzte Wirkung. Solange
die haitianischen Bauern auf Parzellen mit durchschnittlich rund einem
Hektar wirtschaften müssen, solange vielfach ihre Besitztitel ungesichert
sind, solange das technologische und agronomische Niveau in der Landschaft
derart rudimentär bleibt, solange wird die ökologische Degradation weiter
voranschreiten. Der einzig viel versprechende Ansatz wäre die Bildung
von Kooperativen und die Zusammenlegung von Betriebsflächen, um den Anbau
effizienter und kontrollierter zu gestalten, Know-how zu verbreiten und
infrastrukturelle Maßnahmen und technische Innovationen zu erleichtern.
Emigration als Ventil
Die prekäre Versorgungslage auf dem Land, sinkende Erträge durch Übernutzung
und zunehmende Atomisierung der Betriebsflächen durch Realerbteilung lassen
für viele Menschen nur eine Perspektive offen: die Abwanderung. Diese
kann erfolgen als ,,interne Migration" und auf die Städte des Landes gerichtet
sein oder als ,,Emigration", d.h. als meist ungeordnete und fast immer
illegale Flucht ins Ausland. Beide Optionen sind eng miteinander verbunden.
Die Übersiedlung in eine Stadt - in Haiti ist dies in allererster Linie
die Hauptstadt Port-au-Prince - wird von vielen Migranten nur als Etappe
auf ihrem Weg ins Ausland gesehen. Seit den 70er Jahren, seit Einsetzen
des Massenexodus von der Insel, sind die USA bevorzugtes Zielland. Viele
werden noch die Bilder der ,,Boat People" vor Augen haben, die in der
Zeit des Staatsstreichs 1991-1994 versucht haben, auf Floßen über die
karibische See in die USA zu gelangen. Allein in diesem Zeitraum waren
es über 60.000, die auf diese Weise ihr Leben riskiert haben. Die meisten
von ihnen wurden, wie vielleicht bekannt, bereits auf hoher See abgefangen
und auf den amerikanischen Stützpunkt Guantanamo in Kuba verfrachtet.
Anders als kubanische Flüchtlinge sind solche aus Haiti in den USA nicht
willkommen. Das 1981 verabschiedete ,,lnterdiction Program" ermöglicht
es den Einwanderungsbehörden der USA, haitianische Flühtlinge auf offener
See abzufangen und nach einer Schnellbefragung sofort abzuschieben, bevor
sie je amerikanischen Boden betreten hätten. Auch die Internierung in
sogenannten ,,Deportation Centers" ist seit 1981 wieder gängige Praxis.
Während in den letzten Monaten in Miami heftlgst über den Verbleib des
kubanischen Jungen Elian gestritten wurde, wurden übrigens Tausende von
Haitianern in ihre Heimat abgeschoben.
Die Emigration hat in Haiti eine lange Tradition - zeitweise befördert
durch die US-Amerikaner. So wurden z.B. Anfang des 20. Jahrhunderts 200-400.000
haitianische Landarbeiter nach Kuba geholt, um dort auf amerikanischen
Zuckerplantagen zu arbeiten. Noch heute gibt es im Südosten Kubas einen
bedeutenden haitianisch-stämmigen Bevölkerungsanteil. Ebenfalls in die
Hunderttausende geht die Zahl derer, die in die benachbarte Dominikanische
Republik ausgewandert sind - als Zuckerrohrschneider oder Bauarbeiter.
Der ,,brain drain", also die Abwanderung von Intellektuellen und Facharbeitern,
die in den 60er Jahren nach der Machtübernahme Duvaliers einsetzte, war
u.a. auf Kanada, Frankreich, Mexiko, Venezuela und einige afrikanische
Staaten, darunter insbesondere Zaire, gerichtet. Haiti braucht Emigration
aus verschiedenen Gründen - zur Verminderung des Bevölkerungsdrucks,
zur Erschließung ökonomischer Ressourcen außerhalb der engen Landesgrenzen,
zum gedanklichen interkulturellen Austausch. Emigration war immer ein
Bestandteil der haitianischen Gesellschaft. Durch die verstärkte Abwehrhaltung
der potentiellen Zielländer ist sie nun nur noch verdeckt und eingeschränkt
möglich. Sie wird dennoch weiter existieren.
Asymmetrischer Verstädterungsprozeß und sozial-räumliche Segregation
Die interne Migration ist fast ausschließlich auf Port-au-Prince und die
angrenzenden Ergänzungsstädte gerichtet. Port-au-Prince, Delmas, Carrefour
und Petionville bilden gemeinsam die Aire Métropolltaine. Diese Region
weist das schnellste Bevölkerungswachstum des Landes auf und konzentriert
bereits heute rund ein Viertel der gesamten und rund zwei Drittel der
städtischen Bevölkerung des Landes. Zwei Millionen Menschen beherbergt
die A.M. oft mehr schlecht als recht. Während sich die Bourgeoisie, die
früher die Altstadtvillen in Port-au-Prince bewohnte, in den Vorort Petionville
auf luftiger Höhe zurückgezogen hat, ist die Hauptstadt selbst mittlerweile
zum Riesenslum verfallen. lnnenstadtslums entstehen auf ehemals bürgerlichen
Anwesen oder - als sogenannte ,,embryonale Slums" - zwischen den Vierteln
der in Halbhöhenlage verbliebenen Mittelschicht. An den Rändern der Stadt
und insbesondere am Hafen sind die größten Slums der Karibik entstanden:
Cité Soleil und La Sahne mit insgesamt rund 200.000 Einwohnern. In diesen
Vierteln - genauso wie in den innerstädtischen und den embryonalen Slums
- gibt es weder Strom- noch Wasserversorgung. Eine Kanalisation zur Abwasserentsorgung
existiert dort nicht, die meisten Häuser sind aus Stroh, Holz, Wellblech
oder irgendwelchem Schrott zusammengeschustert. Die hygienischen Umstände,
die unter solchen Bedingungen vorherrschen, kann sich jeder vorstellen.
Es ist dennoch zu betonen, daß selbst diese Lebensverhältnisse für die
Migranten vom Land eine Verbesserung darstellen. Die Versorgungslage ist
weniger prekär und weniger von den Launen der Natur abhängig, Gesundheitsdienste
sind eher erreichbar als auf dem Land, wo die zerstreute Siedlungsweise
jegliche Bereitstellung von Infrastruktur behindert, das Netz an Schulen,
insbesondere weiterführende Schulen, ist dichter geknüpft.
All das gilt insbesondere für Port-au-Prince und leider nur mit Einschränkungen
für andere Städte des Landes. Die Regierung versucht seit 14 Jahren, seit
die Dezentralisierung zum Verfassungsziel erhoben wurde, die Mittelstädte
wie Cap Haitien im Norden, Gonaives und St Marc im Westen, Jacmel, Las
Cayes und Jérémie im Süden als Attraktionspole für Landflüchtige zu entwickeln
- bislang vergebens. Nach wie vor ist das gesamte wirtschaftliche Leben
des Landes (so beispielsweise 85% der Industrieproduktion und nahezu 100%
der Abwicklung von Ex- und Import) auf die Hauptstadt konzentriert. Auch
in administrativer Hinsicht fungiert Port-au-Prince, allen Dekonzentrationsmaßnahmen
zum Trotz, weiterhin als Wasserkopf. Die Mittelstädte haben dem allerhöchstens
auf dem Ausbildungssektor etwas entgegenzusetzen. Eine Arbeit wird man
dort jedoch nie finden.
Möglichkeiten ökonomischer Diversifizierung
Der nichtagrarische Sektor ist in der haitianischen Volkswirtschaft kaum
von Bedeutung. Einzig die Ansiedlung von Fertigungsbetrieben in der Aire
Metropolitaine, die in den 70er und 80er Jahren Aufschwung nahm, konnte
einige industrielle Arbeitsplätze bereitstellen. Diese Betriebe, die aus
den USA importierte Einzelteile in Billiglohnarbeit zusammensetzen ließen,
um die so fertiggestellten Endprodukte zu reexportieren, übten allerdings
keinerlei Impuls auf den Rest der Volkswirtschaft aus. Sie bewahrten Enklavencharakter.
Profitiert haben dabei lediglich die ausländischen Lieferanten/Abnehmer
von den niedrigen haitianischen Löhnen. Selbst dieser Produktionszweig
liegt mittlerweile am Boden - nach 14 Jahren politischer Instabilität
die dem Sturz des Duvalier-Regimes 1986 folgten, und insbesondere nach
dem UN-Embargo der Jahre 1991-1994. Das Dienstleistungsgewerbe spielt
sich fast ausschließlich auf dem informellen Sektor ab und ist daher einer
volkswirtschaftlichen Bewertung entzogen. Hoffnungen setzt die haitianische
Regierung - nach dem Vorbild ihrer Nachbarn in der Dominikanischen Republik
und in Kuba - nun auf die Förderung des Tourismus. So einfach wird sich
diese Hoffnung allerdings nicht erfüllen. Anders als die verwõhnten Nachbarstaaten
verfügt Haiti weder über die notwendige Infrastruktur (Straßen, erschlossene
Strände, Hotels) noch über entsprechend ausgebildetes Personal. Haiti
ist trotz allem ein schönes und sehr interessantes Land, insbesondere
hat es mit einigen hochrangigen historischen Stätten aufzuwarten. Aufgrund
der o.g. Mängel wird es aber vorerst kaum möglich sein, dieses Potential
in Wert zu setzen. Unmittelbar wird es sogar eher noch weniger Tourismus
geben: Der Club Mediterrané, bislang einziger namhafter internationaler
Urlaubsanbieter im Lande, hat vor wenigen Monaten seine Pforten geschlossen.
Die kubanisch-haitianische Kooperation
Viele Haitianer hoffen nun auf die Zusammenarbeit mit Kuba. Erst 1995
wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wiederhergestellt,
die nach der kubanischen Revolution 1959 abgebrochen worden waren. 1998
kam ein kubanisch-haitianisches Kooperationsabkommen zustande mit folgendem
Inhalt: Zum einen wurde die Entsendung von 800 Kubanern und Kubanerinnen
aus dem medizinischen Bereich, also Ärzte und Ärztinnen, Krankenschwestern
und –pfleger, Labortechnikerlnnen, Radiologlnnen usw., nach Haiti vereinbart,
ebenso eine unbestimmte Zahl von Technikerinnen und lngenieurlnnen, die
beim Straßen- und Brückenbau helfen sollen, zum anderen wurde ein Stipendiatsprogramm
für mehrere hundert haitianische Studierende an kubanischen Universitäten
eingerichtet. Insbesondere das medizinische Personal aus Kuba erfreut
sich in Haiti größter Beliebtheit. Dank ihrer Unterstützung konnten im
Departement du Nord, ihrem Haupteinsatzgebiet, in allen Gemeinden, und
seien sie noch so abgelegen, medizinische Versorgungszentren eingerichtet
werden. Die kubanische Hilfe steht in derart hohem Ansehen, daß die Partei
Lafanmi Lavalas im aktuellen Wahlkampf damit wirbt, daß unter ihrer Führung
die diplomatischen Beziehungen zu Kuba wiederaufgenommen worden waren.
Mit den kubanischen Entwicklungshelfern sind auch die Ideen der kubanischen
Revolution nach Haiti gekommen. Es gibt derzeit keinen Politiker, und
schon gar keinen haitianischen, der in Haiti derart populär wäre wie Fidel
Castro. Das kubanische Gesellschaftsmodell wird nun allerorten mit viel
Sympathie diskutiert. Das wiederum, man kann es sich lebhaft vorstellen,
stößt auf äußerstes Mißfallen seitens der us-amerikanischen Regierung.
Und die reagierte prompt: Nachdem im Januar dieses Jahres die letzten
UNO-Truppen vertragsgemäß das Land verlassen hatten, erlebten die Bewohner
- genauso wie die örtliche Verwaltung - von Cap Haitien, der Hauptstadt
des Département du Nord, eine böse Überraschung: Ein Militärschiff der
US-Marine lief im Hafen ein. Von Bord ging ein Trupp amerikanischer Soldaten
und Soldatinnen, die zwar später als speziell für Entwicklungszusammenarbeit
trainiert deklariert wurden, aber in ihren olivgrünen Uniformen wenig
Vertrauen bei der Bevölkerung hervorriefen. Lange blieb unklar, in welchem
Auftrag und mit welchem Recht diese Mini-lnvasion vonstatten ging. Weder
das Rathaus von Cap Haitien, noch die Verwaltung des Departements waren
vorher informiert gewesen. Die Grundlage bildete ein unmittelbar zuvor
getroffenes Abkommen zwischen den Regierungen Haitis und den USA. Wie
das wiederum zustande gekommen war, war niemandem offensichtlich. Große
Besorgnis in der Bevölkerung rief die zeitgleich erfolgte Abreise sämtlicher
kubanischer Entwicklungshelferlnnen aus der Region hervor. ,,Heimaturlaub",
so war von den zuständigen kubanischen Behörden zu vernehmen. In wenigen
Wochen würden alle KubanerInnen wieder nach Haiti zurückkehren und ihre
Arbeit in den Krankenhäusern und -stationen wiederaufnehmen. Also ein
reiner zeitlicher Zufall? Oder sollte doch ein Zusammenhang zwischen den
Ereignissen bestehen? In der haitianischen Öffentlichkeit kam es so an:
US-Soldaten vertreiben kubanische Entwicklungshelfer.
Der Autor dieses Artikels, Vortragender vor der FG BRD-Kuba am 20. April,
konnte - nun wieder in Deutschland - den weiteren Verlauf der Dinge in
dieser Angelegenheit nicht mehr weiterverfolgen. In einem möglichen weiteren
Artikel zu einem späteren Zeitpunkt auf dieser Internet-Seite wird davon
zu berichten sein.
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