Das freundliche Fischervolk

Diesem Namen verdienen die Bewohner dieser Insel, die mit der gleichnamigen Organisation von, eher als unfreundlich eingestuften Mitgliedern, fast nichts gemein hat, nicht zu Unrecht. Aber das „fast“. Es verweist auf eine kleine Gemeinsamkeit. Das einnehmende Wesen.
Wir schleppten uns und unser Gepäck, wie die anderen Passagiere auch, die restlichen 500 Meter durch das warme Wasser zum Ufer. Hier schien halb Kilidoni auf den Beinen zu sein. Jedermann hatte betrieb hier ein Handelsunternehmen. Wir suchten uns eine Teestube und probierten, ob wir auch auf der Insel unseren „chai yai rangi bila sukari“ bekommen würden. Leider waren im ersten Versuch doch zwei Löffel Zucker. Doch dann verstanden sie, daß wir mit bila auch bila meinten. Wir saßen im Schatten auf zusammengenagelten Bänken und ließen dieses geschäftige durcheinander an der Uferpromenade mit dem Indischen Ozean auf uns wirken, Die Geräusche dachten wir uns weg und genossen dieses bewegte Stilleben. Unser Wirt hatte auch Pfannkuchen zu bieten und so leisteten wir uns eine einfache und doch sättigende Mahlzeit.
In unmittelbarer Nähe preßte ein junger Mann mit einer Wringmaschiene, wie ich sie bei meiner Oma im Waschhaus gedreht habe, bevor die Schleuder erfunden wurde, Zuckerrohr aus. Die Prozedur und das Produkt sahen fürchterlich aus. Andreas, für alles Unbekannte aufgeschlossen, ließ sich ein Glas frisch gepreßten Zuckerrohrsaft verkaufen. Kurz vor der Vollendung wurde eine Limone mit durchgedreht, die letzten Wespen aus dem Glas gefischt und fertig. Ich beobachtete Andreas genau. Er verzog keine Miene und stellte das Glas wieder ab. Ich war nun auch sehr neugierig geworden und ließ mir auch ein Glas pressen. Es schmeckte köstlich! Die Bedenken, daß die Brühe auf Eiswürfeln unbekannter Herkunft gestanden hatte, schob ich von mir und genoß dieses herrliche Erfrischungsgetränk. Es war nicht zu süß, wie ich befürchtet hatte, und die Limone gab noch etwas Geschmack.
Wir bestellten noch einen Tee und erkundigten uns nach dem Weg zum nächsten Hotel. Der Wirt aktivierte sofort seinen vierjährigen Sohn, instruierte ihn und wir hatten wieder einmal einen guide. Der Kleine nahm seine Aufgabe nicht nur sehr ernst, er wollte auch wieder schnell zurück. Er schritt mit einem Tempo voran, das dem pole pole, welches man in Afrika so gern anwendet und auch danach lebt, gar nicht entsprach. Die Straße, von der Breite her mußte man sie als solche bezeichnen, führte von der Uferpromenade an der Fischsammelstelle vorbei einen gewaltigen Anstieg hinauf. Das Ende war nicht zu sehen, die Sonne brannte von oben und der Knabe ging im Eiltempo voran. Das war nichts für mich. Ich ließ mich in den üblichen afrikanischen Geschäftsschritt fallen und ging den Beiden gemächlich hinterher. Oben begann der Ort richtig. Gemauerte Häuser säumten die Straße. Viele von ihnen beherbergten ein Geschäft. Links erstreckte sich ein Marktplatz mit festen, überdachten Ständen und daran schloß sich ein einstöckiges Gebäude an. Hier war früher die Kolonialverwaltung untergebracht gewesen, nachdem der Hafen von Chole Island versandet war und die Verwaltung nach Kilidoni übersiedelte. Die Straße gabelte sich und führte um einen freien Platz herum. An der rechten Seite befand sich eine Kneipe, dann ein Imbiß und endlich unser New Lizu Hotel. Die Lage, mitten im Ort und an der Hauptstraße, hatte den Vorteil daß der gesamte Verkehr an ihm verbeiflutete. So konnten wir die halbe Stadt und seine Umgebung kennen lernen, ohne die Stühle unserer Residenz verlassen zu müssen. Für Tsh 7.000 pro Nacht mieteten wir ein hübsches Zimmer mit Dusche und WC. Gleich nachdem wir von unserem Zimmer Besitz ergriffen hatten belohnten wir uns mit einem Willkommensbier. Danach war Mittagsschlaf. War das herrlich. Ich hatte schon fast vergessen, wie es sich in einem Bett liegt. Die letzte Nacht waren wir mehr unterwegs, als flach zu liegen und wenn, dann nicht bequem. Den Vormittag hatten wir auf Sandsäcken und den Schiffsplanken gesessen, das war auch keine Erholung. Das war der beste Schlaf seit wir Leipzig verlassen hatten!
Bevor wir zu einem Stadtrundgang aufbrachen, bestellten wir uns zum Abendessen einen Fisch für jeden. Bei der Besichtigung zeigte sich uns die einstige Bedeutung von Kilidoni für Mafia Island aber auch für Deutsch – Ostafrika. Es war sehr weitläufig angelegt, die Straßen sehr breit und die Häuser alle gemauert. Sicher trugen nicht alle Bauten den Stempel früheren Glanzes, doch an einigen konnte man schon die Hand eines Architekten erkennen, der hier versucht hatte eine schöne Verbindung von Zweckmäßigkeit und Form zu finden.
Der Markt war sehr gut sortiert. Hier blieben keine Wünsche offen. Nahrungsmittel und Kleidung, Einrichtungsgegenstände und Werkzeug, hier fand jeder was er suchte. Wir suchten ein hübsches Tuch. Aber wir fanden es nicht. Auffällig war die große Anzahl der Imbißstände.
Wir bummelten die Hauptstraße zurück und genehmigten uns in der Kneipe ein Bier. Auch dieser Platz liegt günstig. Wir saßen schön im Schatten und beobachteten in aller Ruhe die vom Meer heimkehrenden Fischer, gefolgt von den Händlern welche für heute keine Geschäfte mehr erhofften. In die andere Richtung bewegte sich der jüngere Teil der Bevölkerung, in der Hoffnung auf ein Erlebnis und etwas Abwechslung auf der Uferpromenade. Diesem Treiben könnte ich ewig zuschauen, weil die wechselnden Gestalten mit ihrer bunten Kleidung und ihren unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln
Ständig einen neuen Anblick bieten. Nicht zu vergleichen mit unserem Fernsehprogrammen.
Der Fisch war überaus lecker. Wieder hatte ich so meine Bedenken mit der Küchenhygiene, aber der Erfolg zählt. Rechnet man noch das Preis – Leistungsverhältnis, wir zahlten jeder Tsh 1100,- so hatten wir ein Abendmahl vom Feinsten. Die Küche können wir empfehlen.
Wir wollten am nächsten Tag nach Chole Island fahren und erkundigten uns beim Wirt nach einer Verbindung. Die Auskunft war leicht. Es gab keine. Er wollte sich aber mal erkundigen, wer anderen Tags die Strecke fuhr. Gegen ein geringes Entgelt würde der uns dann gern mitnehmen. Wir dankten und gingen schlafen. Die letzten 36 h Stunden waren doch recht aufregend und anstrengend gewesen.
Am nächsten Morgen, wie konnte es anders sein, schien die Sonne. Wir waren gut ausgeschlafen und freuten uns auf das Frühstück. Zur Abwechslung gab es Omelett. Toast gab es nicht, aber das Weißbrot war ganz angenehm. Das Beste war der Tee. Wir erkundigten uns nach einer Möglichkeit nach Chole Island zu kommen. Es gab, zumindest offiziell, keine. Der Wirt brachte aber in Erfahrung, daß der Jeep der Flughafenfeuerwehr zu der Seite von Mafia Island fuhr, von wo aus man Chole erreichen konnte. So charterten wir uns, Mangels ÖPNV, das Fahrzeug und mußten Tsh 10.000 für die 15 km bezahlen. Ein sehr stolzer Preis. Die unbefestigte Straße führte durchweg über flaches, kaum bewaldetes Land. Ein Dorf sahen wir nicht, doch es standen in einigem Abstand von der Straße einzelne Hütten im Gelände. Bevor wir die Chole Bay erreichten, fuhren wir durch  Utende. Es   bildete den Brückenkopf nach Chole Island. An der Bucht waren in den letzten  Jahren zwei hypermoderne Hotelanlagen gebaut worden. Die Eigentümer waren Italiener. Dies erklärte auch die ungeheuren Fahrtkosten für das Taxi. Die italienischen Touristen hatten die Preise völlig verdorben und das freundliche Fischervolk auf die Spur des Mammons gebracht.
Chole Island war ungefähr einen Kilometer entfernt, wir konnten es gut sehen. Mit dem Feuerwehrauto war auch ein junger Mann mit und gekommen, der auch nach der Insel wollte. Ich denke, er mußte keine Tsh 5.000 für die Fahrt bezahlen, die der Fahrer auch ohne uns gemacht hätte. Wir folgten ihm, als er auf einen kleinen Kahn zu lief, der im Begriff war, das Ufer zu verlassen. Da er im seichten Wasser schaukelte, mußten wir, wie schon auf der anderen Seite der von Mafia Island, die Hosen hochkrempeln und durch das Wasser waten. Schnell stiegen wir alle drei in das voll besetzte Boot und die Gaffel wurde aufgezogen. Die Takelage war wie die bei einer großen Dhau. Auf dieser Überfahrt zählten wir, was den Tarif anbetrifft, zur Bevölkerung. Tsh 100 für jeden schien uns ein angemessener Preis. In 10 Minuten hatten wir Chole Island erreicht. Die Ebbe war zu erwarten, also stoppte der Bootsführer weit vor dem Ufer. Wieder wurden wir bis zum Schritt naß. In dieser Gegend war das die normale Art, ein anderes Ufer zu betreten. Bei den Temperaturen trockneten die Sachen in kurzer Zeit, wenn man die richtigen angezogen hatte. Unsere waren etwas zu stabil und so dauerte der Vorgang etwas länger.
Auf Chole Island, so beschrieb es unser bewährte Reiseführer, sollte es ein äußerst preiswertes Hotel geben. Wir frugen nach dem Chole Hotel. Die Männer sahen sich sehr bedeutungsvoll an, dann uns und schauten sehr skeptisch drein. Wir konnten uns diese Blicke nicht erklären. Solch ein Verhalten hatten wir in Afrika noch nicht erlebt. Doch bevor der Tag ganz heiß werden würde, sollte sich dieses Geheimnis lüften.