Zu den Kolombo Falls

Trotz der frühen Stunde herrschte hier ein sehr geschäftiges Treiben. Wir fanden bald ein kleines Motorboot, mit welchem wir, vier andere Deutsche und noch ein halbes Dutzend Afrikaner über die Bucht nach Muzi fuhren. Ein schmaler Strand empfing uns, an dessen Ende ein Weg ins Dorf führte. Wir folgten ihm zur Mitte des Dorfes. Hier, im Handelszentrum, lag neben zwei Supermärkten und einer Nähstube, das erste Haus am Platze.  Im Guesthouse schliefen noch alle. Doch dann wanderte eine Petroleumlampe auf uns zu und wir konnten, nach Erfüllung der Anmeldeformalitäten, unser sauberes Zimmer beziehen, das hinter einer schlichten Brettertür lag. Es hatte auch seinen Preis, 1000 Tsh mußten wir dafür auf den Tisch legen. Angesichts der Sanitäranlagen, die alle außerhalb des Hauses lagen, war das viel Geld.
Langsam wurde es hell, der Hunger meldete sich. Wir gingen zurück zum Ufer, wo wir ein Restaurant vermuteten. Noch war es geschlossen, doch der Besitzer war schon wach und versprach, sich umgehend um ein Frühstück zu kümmern.
Wir versuchten umgehend ein kleines Motorboot zu finden, welches uns zur sambischen Grenze in die Nähe der Kolombo Falls fährt. Mit Oskar kamen wir ins Gespräch. Er war ein zäher Verhandlungspartner. Unsere Vorstellungen vom Preis für die Fahrt, der auch die Führung zu den Fällen mit einschloß, lagen sehr weit auseinander, Wir hatten aber ähnliche Ziele, er brauchte Geld und wir wollten es ihm geben, einigten wir uns schließlich auf 25.000 Tsh. Zehntausend im Voraus – er mußte Benzin kaufen. Einer der Deutschen vom Schiff schloß sich uns an. Er hieß Stephan, war ursprünglich aus dem Stuttgarter Raum und fuhr mit seinem Motorrad von Uganda nach Tanzania. Gegen 10.00 starteten wir und waren ca. 1,5h später, wir waren ständig an einer weitgehend unwirtlichen Küste entlang gefahren, in Chipwa, dem letzten tansanische Dorf am Kolombo River, dem Grenzfluß zu Sambia. Unser Motor hatte schon lange die Neugier der Kinder geweckt und wir waren sofort von einer Horde umringt, die uns auf Schritt und Tritt begleiteten, jede unserer Handlungen verfolgten und kommentierten. So oft kamen Mzungus nicht hier her.


>Umgebung der Kolombo falls<

Wir waren durstig. Die Kneipe war schnell gefunden und wir bestellten Tee nach unserer Art. Wieder diese Ungläubigkeit. Da im Gastraum nur für Zwei Platz war, blieb ich  draußen. Ich ließ mir einen Teller geben und befreite eine Ananas von ihrer stachligen harten Hülle. Nachdem wir ausreichend satt waren. Teilte ich den Rest in kleine Würfel und verschenkte sie an die Kinder. Zuerst wollten sie nichts nehmen, dann grapschten die am Nächsten stehenden unbarmherzig mit ihren kleinen Händen nach den Fruchtstücken, das nur Wenige einige Stücken erwischten, das Meiste aber im Sand landete. Teilen war nicht ihr Ding. Die Devise: „Selber essen macht fett.“ war hier sehr gut bekannt.
Der Reiseführer versprach und einen Pfad auf tansanische Seite flußaufwärts bis zu den 8 km entfernten 197m hohen Kolombo Falls, wobei 400 Höhenmeter zu überwinden sind. Hier im Dorf erfuhren wir, daß man nur auf sambischer Seite zum Wasserfall kommt. Das Boot brachte uns über die kleine Bucht zu einer schmalen Landungsstelle. Unser guide schien hier bekannt zu sein. Wir sollten noch einen guide von dort mitnehmen. Buisiness.
Oskar  verabredete mit unserem Steuermann einen Treffpunkt und, wie wir vermuteten, eine Zeit dann marschierten wir los.
Der Weg war völlig anders als im Reiseführer beschrieben. Wir gingen volle 2 Stunden bergauf, ohne auch nur irgend etwas von einem Fluß oder Wasserfall zu sehen oder zu hören. Der Weg war nur zu erahnen, wenn man sich hier nicht auskannte, konnte man sich   gut verirren. Mittlerweile hatte ein tropischer Regen eingesetzt und aus den steinigen Wegen wurden rote Schlammbäche, die wir stromauf waten mußten. Das Wasser sammelte sich auf den an Berghängen angelegten Feldern. Diese waren in kleine, hoch aufgeschüttete Beete unterteilt, welche sehr unseren Grabstätten ähnelten. (Ohne diese Gestaltung würde der Regen den fruchtbaren Boden komplett abtragen.) Das war die einzige Erosionsvorsorge.
Nicht nur die Kleidung war naß, nein uns lief das Wasser den Rücken hinunter über den Schritt in die Schuhe. Als wir nach fünf Stunden wieder am See ankamen, waren wir vollständig getrocknet. Aber die Hose ist noch immer bis zum Oberschenkel vom Spritzwasser rot gefärbt.
Unser Führer wirkte sehr unsicher. Der Regen ließ die Gegend etwas anders aussehen, als er sie kannte. In einer zwischen den Feldern stehenden Hütte erkundigte er sich nach dem Weg. Dieser war nicht einfach zu beschreiben, denn wir mußten für einen halben Dollar einen kleinen Jungen von höchstens acht Jahren als Führer mitnehmen. Sein Freund kam auch mit und die Knaben, welche sich hier bestens auskannten, rannte davon. Nun galt es, die beiden nicht aus den Augen zu verlieren. Hatten wir zu Beginn des Regens noch Vorsicht walten lassen, damit wir von unten nicht zu naß wurden, war nun daran mehr nicht zu denken. Von einem Weg, den wir folgten, war nichts zu sehen. Die Umgebung nahmen wir nicht war, nur die Jungs nicht aus den Augen verlieren! Denen hatte die Aussicht auf den vereinbarten Lohn Flügel verliehen. Endlich stoppten sie. Als wir heran waren, sahen wir, daß sie nicht weiter konnten. Vor uns ging es senkrecht 200 Meter nach unten. Der Felsenkessel, in den sich der Kolombo River ergoß, hatte einen Durchmesser von 80 Metern. Am westlichen Ende führte eine schmale Schlucht zum Tanganykasee. Zu dieser Jahreszeit führte der Fluß nicht viel Wasser, so hielt sich das Getöse der hinabstürzenden Fluten in Grenzen. Aber beeindruckt waren wir von dieser nicht endenwollenden Tiefe, von der uns nur unser Wille trennte. Die Jungs versprachen uns noch einen besseren Blick. Wir folgten ihnen auf einem nur mit Gras bewachsenen steilen Hang nach Osten. Nichts woran wir uns festhalten konnten. Der Regen hatte den Boden aufgeweicht und jeden Augenblick konnten die Graswurzeln unter unserer Last nachgeben. Aber es gab kein zurück. Andreas schimpfte wie ein Rohrspatz und verfluchte unsere Idee, die Fälle sehen zu wollen. Er hatte seine Höhentauglichkeit etwas überschätzt. Wären wir dort ins Rutschen gekommen, kein Mensch hätte unsere Überreste gefunden.
Der neue Aussichtspunkt lag in unmittelbarer Nähe zum abstürzenden Fluß. Unser dritter Mann konnte, trotz Regen, einige Fotos vom Wasserfall mit und ohne uns machen. Ich hoffe noch immer, wir können sie an dieser Stelle zeigen. Stefan hat versprochen, sie uns zu schicken.

>Hier stehen die Fotos von uns an den Kolombo Falls<

Ich bezahlte unseren kleinen Führer mit einem ganzen Dollar und wir machten uns, bei klarem Himmel, zügig auf den Rückweg. Wir erreichten Chikwe, das erste sambische Dorf, gegen 18:00. Unser Auftritt ähnelte dem am Morgen in Chipwa. Eine Horde von ca. 30 Kindern verfolgte all unsere Handlungen. Stefan hatte es ihnen besonders angetan, hielt er doch seine Kamera schußbereit. Visierte er ein Objekt an, bauten sie sich sofort, laut schreiend, dahinter auf. Nach dem Blitz gab es ein Ohrenbetäubendes Freudengeheul. Wir näherten uns mit unserer Begleitung einer Gruppe von jungen Frauen, welche im Mörser Getreide stampften. Stefan brachte seine Kamera in Anschlag und fragte, ob er sie fotografieren dürfe. Kein Problem, wenn er sie bezahlte. Das hatte er nicht erwartet. Der geforderte Preis war jedoch für und lächerlich gering, und so gab es wirklich keine Probleme, außer mit der Horde, welche mit auf das Foto wollte. Mit einiger Mühe gelang es mir, eine Gasse für die Linie Kamera – Frauengruppe  freizuhalten. Die Prozedur wiederholte sich beim Friseur und bei einer Töpferin, die ohne die uns bekannte Töpferscheibe kreisrunde Gefäße herstellte.

>Hier steht das Bild der Töpferin<

Unser Boot war nicht da und wir verkürzten uns die Wartezeit, indem wir in der Kneipe einen Tee nach unserer Art bestellten. Der Raum war viermal so groß wie der heute Morgen und so konnten wir vier uns, nach dem langen anstrengenden Marsch etwas fertig, auf die Stühle fallen lassen. Zwei Fenster ließen Licht in den Raum, doch nur für kurze Zeit. Im Nu wurden sie mit Kinderköpfen gefüllt und der helle Tag blieb draußen. Nicht so einige Kinder, die um uns herum standen und uns wie das achte, neunte und zehnte Weltwunder begafften. Zwar wurden sie in unregelmäßigen Abständen vom Wirt aus dem Raum gejagt, das hielt aber nicht lange an.
Das Boot war noch immer nicht gekommen. Unsere Diskussion mit Oskar brachte nichts ein, außer, er verschwand in der einbrechenden Dunkelheit. Unsere Unruhe wuchs, waren wir doch hier widerrechtlich in einem Land ohne Visum, in einem Dorf ohne Hotel und ohne Verbindung zur Welt. Einige Männer machten einen recht angeheiterten Eindruck und uns verließ langsam unser Humor für ungewöhnliche Situationen. Wir vermuteten unser Boot, und damit unsere Möglichkeit noch heute nach Muzi zu kommen, auf tansanischer Seite. Doch wie hinkommen? Die Boote die am Ufer lagen hatten keinen Motor und in der Finsternis auf dem See herumrudern – das war nicht mein Ding. Gegen 20:00 war es vollständig dunkel. Vom Mond war noch nichts zu sehen und wir hatten die Hoffnung, heute nach Tansania zurückzukommen noch nicht aufgegeben. Richtig. Aus der Nacht wuchs das Geräusch eines Außenborders. Oskar hatte den Bootsführer in Chipwa gefunden. Andreas machte seinem Unmut lautstark Luft, so daß die Stimmung unserer beiden Afrikaner sehr gedrückt war. Unsere besserte sich, je näher wir unserer heutigen Heimat kamen. Die Zeit verging rasch. Wir verkürzten sie uns mit dem Waschen unserer verschlammten Klamotten und dem Verzehr einer Kokosnuß.
Zwei Stunden später landeten wir völlig erschöpft in Muzi.



E-Mail: Ulrich.Thomas@t-online.de