Im Zug

Wir kämpften uns als einzige Weiße durch die Reihen der Afrikaner und eroberten den Bahnsteig. Das brachte den Zug zwar auch nicht näher, dafür fanden wir aber Oliver. Oliver war aus Deutschland und wollte wie wir in Richtung Kigoma, allerdings nur bis Dodoma. Er hatte schon in Erfahrung gebracht, daß unser Zug in der Abfahrt heute fünf Stunden Verspätung hätte! Nun, alles kann nicht glatt gehen!

Warten auf den Zug
Uns blieb nun genügend Zeit, uns um unser Abteil zu kümmern. Oliver wußte Bescheid! Am Anfang des Bahnsteiges war eine Tafel, darauf waren alle Abteile mit den dazugehörigen Namen verzeichnet. Wer da nicht drauf stand, hatte keinen Anspruch. Dann kam auch irgendwann der Zug. Nachdem wir unser Abteil mit unseren Rucksäcken vollgestopft hatten, machten wir es uns erst einmal gemütlich und nahmen einen Willkommensschluck aus unseren Taschenflaschen. Der Waggonverantwortliche brachte das Bettzeug und weihte uns in den Gebrauch der Fenster ein. Gleich darauf, pünktlich wie die DB brausten wir mit 30 km/h durch die Nacht, dem Tanganykasee entgegen.
Also  die Problematik mit dem Fenster! Zur Abwehr von Eindringlingen sind die Abteile mit einem kurzen Holzstück ausgerüstet, welches man benutzen kann, um selbige auf die Finger oder den Kopf zu schlagen, so man sie sieht. Des Nachts, oder wenn man nicht im Abteil ist, besonders wenn der Zug hält, klemmt man den Stock unter das Fenster und verhindert so ein Öffnen von außen. Wir klemmten mit dieser Hilfe das Fenster vor dem Schlafengehen fest, weniger weil wir einen Überfall fürchteten, als uns vor den Moskitos, welche bekanntlich in der Dämmerung sehr aktiv sind, zu schützen. In unserem Abteil herrschten bald 33oC. Ich lag ganz ruhig und fühlte, wie der Schweiß durch die Poren floß. Ganz deutlich hab ich dies im Gesicht und an den Armen gespürt. Eine Sauna, in der mit der Zeit der Schweiß auf der Oberfläche der Haut sich zeigt, kann ich mit diesem Erlebnis nicht vergleichen.
Irgendwann schliefen wir dann doch ein. Als wir erwachten, stand der Zug und außerhalb waren mehrere lautstark geführte Gespräche zu hören. Wir waren auf einem Bahnhof, von denen es an dieser Strecke ungefähr 60 gibt. Die Bewohner des Ortes kamen mit ihren Erzeugnissen und handelten mit den Reisenden. In Windeseile mußten die Geschäfte abgewickelt werden, denn bald schon ertönte der Pfiff der Lokomotive und die Fahrt ging weiter.  Von diesen Stopps gab es noch einige in der Nacht. Wir wurden, ob des Lärmes meist munter und mußten an dem regen nächtlichen Treiben teilnehmen. Ob wir wollten oder nicht.
Karte der Küstenregion
Dieser Kartenausschnitt zeigt den Verlauf der Bahnlinie im flachem Vorland der Küste. Die Strecke verläuft im afrikanischem Sinne, direkt nach Westen. Von Dar aus berührt sie die auf der Karte befindlichen Orte Soga, Kigongo, Ruvu und Mahundi. Dieser Küstenstrich ist noch vom klimatischem Einfluß des Indischen Ozeans geprägt. Dieses feuchte warme Klima ist ideal für die Landwirtschaft und die hier ansässige Bevölkerung nutzt es für mehrere Ernten im Jahr.
Übergang zur Hochebene
Nur 50 km hinter Mahundi beginnt die Strecke langsam auf die im Mittel 1200 m hohe zentrale Hochebene zu steigen. Von Ngerengere steigt die Bahnlinie vorbei an Kinonko, Mtego wa Simba, Kingolwira und Mgolole stetig an und erreicht in Morogoro die erste kleinere Gemeinde. Bisher passierte sie nur kleine Ortschaften, für die der Stopp der Eisenbahn aber lebenswichtig ist.
Am Morgen hatte sich die Luft im Abteil auf empfindliche 29oC abgekühlt. Es war gerade noch auszuhalten. Die Sonne stand schon weit über dem Horizont und erleuchtete unser Abteil, welches wir nun erst einmal richtig betrachten konnten. Wir öffneten das Fenster und eine Morgenbrise erfrischte uns. Vom Gang aus waren rechts übereinander zwei herabklappbare Pritschen, auf denen wir, abgesehen von der Hitze der Nacht und dem Lärm, gut geschlafen hatten. Diese wurden am Tage nach oben geklappt und so hatten wir ein geräumiges Abteil mit einer gepolsterten Sitzfläche. Links führte eine Schiebetür, sie war jetzt verriegelt, in das Nachbarabteil. Vor dem Fenster links war über einem kleinen Waschbecken ein Spiegel. Ein Ventilator, den wir am Abend nicht bemerkt hatten, vervollständigte die Einrichtung. Für eine zweitägige Zugfahrt völlig ausreichend. Der Wagenverantwortliche kehrte zweimal am Tag den gesamten Waggon und hielt auch in den Toiletten und dem Waschraum auf Ordnung. Wahrscheinlich war die Instruktion für diesen Job von den Erbauern der Bahn übernommen worden.
Einige Zeit nachdem wir aufgestanden waren und uns den Schlaf aus den Augen gespült hatten, kam auf dem Gang ein heftiges Geklapper näher, welches immer wieder kurz von einer Stille unterbrochen wurde. Da wurde auch schon unsere Tür nach einem Klopfen geöffnet und der Kellner fragte uns, ob er uns unser Frühstück im Abteil servieren sollte. Wir lehnten ab und gingen zu dem Speisewagen. Es fehlten zwar die Tischdecken und die Sitze wären selbst bei der MITROPA lange ausgemustert wurden, aber insgesamt machte er einen besseren Eindruck, als wir gedacht hatten. Wir sahen voller Vertrauen der Speisekarte entgegen. Außer Eier in mehreren gebratenen Varianten, dazu Weißbrot und Kaffee oder Tee, gab es jedoch nichts. Wie sollte es auch. Butterähnlicher Brotaufstrich, der in der größten Hitze seine Konsistenz behielt, und Marmelade vervollständigten unser Frühstück. Wir waren gesättigt!
Da unser Zug gemächlich (ca. 50km/h) durch die Landschaft fuhr, hatten wir genügend Muße, selbige in Ruhe zu betrachten. Leider gab es, außer flachem Land bis zu Horizont, nichts zu sehen. Links und rechts der Strecke waren Felder angelegt, auf denen fleißig gearbeitet wurde. Die Afrikaner hackten den Boden locker, legten Samen und sahen freudig winkend und froh über die Abwechslung, dem Zug nach. Irgendwo mußte es hier ein Dorf geben. Da wurde auch schon der Bremsvorgang eingeleitet und ein Pfeifen kündete dem nahen Bahnhof unser Kommen an. Dort war schon alles zum Empfang vorbereitet. Schade, daß wir schon gefrühstückt hatte, hier wäre es uns zu einem Viertel des Preises gelungen uns mit landestypischen Nahrungsmitteln zu versorgen.
Zughandel
Das Angebot reichte von gefüllten Teigtaschen über frischem Obst bis zu warmen Maiskolben. Alles sah gut aus, leider warten wir satt. Nachdem vor allem die Passagiere der dritten Klasse so sich mit Frühstück versorgt hatten, ging die Fahrt weiter.
An jeder der über sechzig Stationen wiederholte sich diese Prozedur. Die angeboten Waren waren aber von Station zu Station verschieden und nur der Reisende, der die Fahrt von Dar Es Salam bis Kigoma mitgemacht und überall eingekauft hatte, war mit allem versorgt, was man zu Leben benötigt Es gab einfach alles, aber nicht überall das Gleiche. Landwirtschaftliche Erzeugnisse waren von Zitrusfrüchten über Feldfrüchte bis zum Obst von Station zu Station unterschiedlich im Angebot. Ebenso waren die handwerklichen Erzeugnisse sehr verschieden. Wurde in dem einen Ort geflochten, so versuchten sich andere im Schnitzen und wieder andere bemalten Töpferwaren. Es waren ständig wechselnde bunte Bilder, die sich im Detail jedoch nie wiederholten.
Blick nach vorn
Weiter führt die Strecke auf der Hochebene und wenn man aus dem Zugfenster schaut, hat man diesen herrlichen Ausblick.
Schließlich erreicht der Zug Kilosa. Hier zweigt eine Strecke nach Süden ab und das Personal des gesamten Bahnhofes ist mit der Umsortierung der Waggons überfordert. Dies liegt sicher nicht an dieser älteren Lokomotive, sondern in den unklaren Vorstellungen, die die einzelnen Mitwirkenden vom Ziel ihrer Arbeit haben.
Rangierlokomotive
In den zwei Stunden, welche dieses Manöver dauerte, wurde der Zug bestimmt viermal umgruppiert. Wahrscheinlich eine kaum zu überbietende Spitzenleistung, für afrikanische Verhältnisse. Die Dienstanweisungen von 1914 für diese Teil der Strecke sind sicher verloren gegangen.
Wir nutzten diesen etwas längeren Halt und begaben uns auf den Bahnsteig, was von unserem neuen Freund sofort dokumentiert wurde
An einer Bahnstation
Andreas hatte die glänzende Idee unsere Obstvorräte hier zu ergänzen. Er hatte sich für Mangos entschieden und hielt Ausschau nach einem Verkäufer mit reifen Früchten. Ein Knabe von ca. 12 Jahren verkaufte welche. Die beiden wurden sich bald handelseinig. Die Mangos kosteten 300 Tsh. Andreas gab dem Jungen 500 Tsh, weil er keinen anderen Schein hatte. Im Nu war der Kleine verschwunden und Andreas schaute fassungslos in das Treiben auf dem Bahnhof, immer in der Hoffnung seinen Handelspartner wieder zu finden. Der kleine Schwarze war auch immer mal zu sehen. Er umkreiste den Zug und wollte noch mehr von seinen Früchten verkaufen. Andreas rief, wenn er ihn sah und forderte, im besten Deutsch, seine 200 Tsh zurück. Kein Gedanke, er kam nicht wieder. Unruhe verfinsterte Andreas‘ Miene. Fast wäre er, als er ihn wieder einmal sah, hin gelaufen. Aber bei der Hitze und dem Gedränge auf dem Bahnhof, ein aussichtsloses Unterfangen. Da ertönte der Pfiff der Lokomotive und der Zug setzte sich langsam in Bewegung. Die 200 Tsh waren weg. Wir mußten sie aus unserer Reisekasse ausbuchen. Das riß zwar kein unstopfbares Loch, aber die moralische Wirkung war riesig.  Wir verloren das Vertrauen in die Ehrlichkeit der Afrikaner beim Handeln. Als der Zug schon Fahrt aufgenommen hatte, tauchte der Schlingel wieder auf und streckte Andreas seine Hand mit den 200 Tsh entgegen! Ihm fehlte zu Beginn das Wechselgeld und sein Handelspartner konnte nur mit dem Zug wegfahren. Da war er wieder da. Die Welt war wieder in Ordnung und Andreas schenkte ihm zur Erinnerung ein Klappmesser. Man muß nur warten können. Sie kommen sehr wahrscheinlich zurück und wenn es auch einige Zeit dauert.

Am späten Mittwochvormittag waren wir dann in der 150 km entfernten Hauptstadt von Tansania – Dodoma. Vom Zug aus war vom Flair der Metropole nichts zu ahnen und wenn man den Bahnhof verließ, besserte sich dieser Eindruck auch nur unwesentlich. Hier ist zwar der Regierungssitz, aber die Regierung sitzt in Dar Es Salam.

Dodoma vom Zug aus
Der Fahrplan sah vor, daß wir am frühen Morgen Dodoma verlassen sollten. Es wurde erheblich später, was der Schönheit des nun folgenden Streckenabschnittes keinen Abbruch tat.
Obwohl Tabora inmitten von Miombowälder liegt, die durch ihre reiche Population von Tsetse- Fliegen eine traurige Berühmtheit erlangt haben, war die Landschaft westlich
Umgebung von Tabora
sehr abwechslungsreich. Eine schroffe Landschaft wanderte am Zug vorbei. Felsen wuchsen oft so dicht heran, daß man fast glaubte, sie mit der Hand greifen zu können. Danach tat sich ein Tal auf, welches mit einem schmalen Damm überquert wurde. Schließlich führte die Bahnlinie über einen nicht unbedeutenden Fluß. Eine lange Brücke, die an diese Stelle schon 88 Jahre ihren Dienst versieht bringt die Züge sicher zum anderen Ufer.
Wir erreichten Tabora am frühen Abend.
Hier zweigt die Strecke nach Mwanza am Lake Victoria ab, die eigentlich, so hatten es die Erbauer der Bahnlinie geplant, nach Burundi und Ruanda führen sollte, um so eine Verbindung zu den Ländern westlich des Viktoriasees zu schaffen.
Der Zug wird nun nicht nur auseinander gekoppelt und neu zusammengesetzt, er erhält auch in Richtung Tanganjikasee einen deutlich schlechteren Speisewagen, mit einem entsprechenden das Angebot.
Es war eine sehr abwechslungsreiche Fahrt von Dodoma über Imalakaseko, Igalula, Kisanga, Itulu nach Tabora.
Nach dem wir Tabora verlassen hatten, wurden wir hungrig und wir mußten uns um ein Abendessen kümmern. Also auf, in den Speisewagen. Die Speisekarte war übersichtlich. Wir mußten zwischen "beef or chicken, rise or chips" entscheiden. Dazu ein wohl temperiertes Bier, der Raumtemperatur angepaßt. Dies ist auch für den Magen viel freundlicher. Ich muß an dieser Stelle bekennen, wie es auch aussieht, wo es auch herkommt, das Essen ist immer schmackhaft und bekömmlich!
Die Region Kigoma
Eine letzte Nacht im Zug, ein Halt um Mitternacht in Uvinza und am Morgen rollt der Zug den Rand des Riftvalley hinab, dem Tanganykasee entgegen. 1250 km vom Ozean entfernt erreichen wir Donnerstag Vormittag Kigoma am See der Superlativen.
Kigoma sollte nun für mehrere Tage der Ausgangspunkt für unsere Erkundungen der Umgebung sein. Wir hatten somit viel Zeit und schauten voller Erwartung auf die Dinge die da auf uns zukamen.